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forschen / 24.07.2022
Ungebremst gegen den Blutkrebs

Armin Rehm und Uta Höpken wollen die Immunabwehr gegen Krebs verbessern. Was bislang nur im Mausmodell möglich war, zeigen die Forschenden nun in menschlichen Zellen – die Ergebnisse in „Molecular Therapy“ erhöhen die Chancen auf eine hochwirksame Immuntherapie gegen Blutkrebs.

Für Menschen mit bestimmten Leukämieformen, Lymphomen oder Multiplem Myelom, sind sie manchmal die letzte Chance, den Krebs zu besiegen: Behandlungen mit chimären Antigenrezeptor-T-Zellen, kurz: CAR-T-Zellen. Dazu werden den Patient*innen T-Zellen aus dem Blut entnommen, um diese außerhalb des Körpers mit künstlich hergestellten Rezeptoren, den CARs auszustatten. Als Wächter des Immunsystems patrouillieren T-Zellen permanent durch Gefäße und Gewebe, um körperfremde Strukturen aufzuspüren. Durch die CARs können sie zusätzlich ganz bestimmte Oberflächenstrukturen auf Krebszellen erkennen. Via Infusion dem oder der Patient*in zurückgegeben, zirkulieren sie dann als „lebendes Medikament“ im Körper, binden hochspezifisch an Tumorzellen und zerstören sie.

Die veränderten Immunzellen verbleiben dauerhaft im Organismus, vermehren sich und treten erneut in Aktion, wenn der Krebs wieder aufflammen sollte – so die Theorie. Doch in der Praxis kommt es bei vielen Patient*innen trotzdem zu einem Rückfall. Denn den Tumorzellen gelingt es durch einen Trick, die CAR-T-Zellen auszubremsen: Sie bilden vermehrt das Protein EBAG9, kurbeln aber auch dessen Synthese in den T-Zellen an. In den Immunzellen hemmt EBAG9 die Ausschüttung von zelltoxischen Enzymen – bremst also die gewünschte Immunreaktion aus.

Bereits im Juni 2022 zeigte ein Team um die Letztautor*innen Dr. Armin Rehm und Dr. Uta Höpken vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) im Fachjournal „JCI Insight“, dass die Immunantwort gegen die Krebszellen dauerhaft verstärkt wird, wenn sie bei Mäusen das EBAG9-Gen ausschalten. Bei den Nagern entwickelten sich außerdem mehr T-Memory-Zellen. Sie sind Teil des immunologischen Gedächtnisses, das nach dem ersten Kontakt mit einem Krebsantigen seine Reaktionsfähigkeit erhöht.

Nun konnten die Forschenden diese zentralen Ergebnisse auch in vitro bei menschlichen CAR-T-Zellen zeigen. Der entscheidende Schritt zur therapeutischen Anwendung sei damit gelungen, berichtet das Team jetzt in „Molecular Therapy“. „Ohne EBAG9 kommt es früher zu einem radikaleren Ausmerzen von Tumorzellen, was vermutlich nicht nur zu länger andauernden Therapieerfolgen führt, sondern auch echte Heilungschancen eröffnet“, sagt Rehm.

Bremse lösen in der Immuntherapie

Schon als das EBAG9-Gen entdeckt wurde, erkannten Wissenschaftler*innen, dass es bei Krebs eine wichtige Rolle spielt. Doch welche genau, blieb lange unklar. Als das MDC-Team 2009 in das Thema einstieg, stellte es zunächst fest, dass Mäuse, denen das Gen fehlte, viel leichter mit bakteriellen und viralen Infektionen fertig wurden als ihre Artgenossen und mehr T-Gedächtniszellen bildeten, die für die Tumorbiologie besonders interessant sind.

2015 gelang es dann Erstautorin Dr. Anthea Wirges, die Synthese des Proteins EBAG9 mit Hilfe von Mikro-RNAs erfolgreich zu drosseln. Für die aktuelle Studie kultivierte die Forscherin auf diese Weise „enthemmte“ CAR-T-Zellen jeweils zusammen mit verschiedenen menschlichen Blut- oder Lymphdrüsenkrebszellen. Genau wie zuvor im Mausmodell wurde das Tumorwachstum deutlich stärker reduziert. Auch Rezidive entwickelten sich erst sehr viel später.

„Durch das Lösen der EBAG9-Bremse kann die genetisch veränderte T-Zelle mehr zytotoxische Substanzen ausscheiden. Sie entfacht aber keinen stärkeren Zytokinsturm, der eine typische Nebenwirkung der CAR-Therapie ist“, erklärt Wirges. Im Gegenteil: das Risiko lässt sich sogar minimieren, weil weniger Zellen als üblich verwendet werden müssen. „Das Ausschalten der Immunbremse funktioniert universell. Das können wir bei jeder CAR-T-Zelle anwenden, die wir herstellen – egal gegen welche Blutkrebsform sie gerichtet ist.“

Der nächste Schritt sind klinische Studien

Die erste Therapie bei Blutkrebs ist und bleibt aber weiterhin die Chemotherapie, dazu kommt eine klassische Antikörpertherapie, denn viele Patient*innen sprechen sehr gut darauf an. „Erst wenn der Krebs zurückkehrt, kommt die CAR-Therapie ins Spiel. Sie ist sehr kostspielig, weil sie ein individuelles zelluläres Produkt für nur einen einzigen Menschen ist“, sagt Höpken. Eines, mit dem man mit einer einmaligen Behandlung ein Leben retten kann.

An EBAG9 zeigt sich, wie wichtig es ist, in der Forschung durchzuhalten und einen langen Atem zu haben. Wirges ließ sich davon anspornen, dass am Ende ihrer Arbeit eine reale Chance für die klinische Anwendung steht. „Projekte wie dieses erlauben es, sich zunächst in der Grundlagenforschung Techniken anzueignen, um dann in der translationalen Forschung alles anzuwenden – bis hin zum toxikologischen Screening für die regulatorischen Prozesse“, ergänzt Rehm. An diesem letzten Punkt ist das Projekt nun angelangt: Im November werden die Forschenden ihr Konzept dem Paul-Ehrlich-Institut, der deutschen Zulassungsbehörde, vorstellen.

Aus Tiermodellen und in vitro-Experimenten mit menschlichen Zellen weiß das Team mittlerweile, dass die gelöste EBA9-Bremse sehr wirksam ist, aber nicht zu mehr Nebenwirkungen führt als die herkömmliche CAR-T-Zelltherapie. „Nun braucht es mutige Klinikerinnen und Kliniker und einen Partner für die Finanzierung der klinischen Studien“, sagt Rehm. Wenn alles gut geht, könnte die ungebremste CAR-T-Zelltherapie bereits in zwei Jahren Patient*innen zur Verfügung stehen.

Weiterführende Informationen

Literatur:

Anthea Wirges et al. (2022): „EBAG9-silencing exerts an immune checkpoint function without aggravating adverse effects“. Molecular Therapy, DOI: 10.1016/j.ymthe.2022.07.009

Das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC) wurde 1992 in Berlin gegründet. Es ist nach dem deutsch-amerikanischen Physiker Max Delbrück benannt, dem 1969 der Nobelpreis für Physiologie und Medizin verliehen wurde. Aufgabe des MDC ist die Erforschung molekularer Mechanismen, um die Ursachen von Krankheiten zu verstehen und sie besser zu diagnostizieren, verhüten und wirksam bekämpfen zu können. Dabei kooperiert das MDC mit der Charité – Universitätsmedizin Berlin und dem Berlin Institute of Health (BIH) sowie mit nationalen Partnern, z.B. dem Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DHZK), und zahlreichen internationalen Forschungseinrichtungen. Am MDC arbeiten mehr als 1.600 Beschäftigte und Gäste aus nahezu 60 Ländern; davon sind fast 1.300 in der Wissenschaft tätig. Es wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und zu 10 Prozent vom Land Berlin finanziert und ist Mitglied in der Helmholtz-Gemeinschaft deutscher Forschungszentren. www.mdc-berlin.de

Quelle: Pressemitteilung MDC
Ungebremst gegen den Blutkrebs

Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center)

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