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forschen / 17.03.2025
Wie ein Entzündungsbotenstoff Alzheimer anfeuert

Das Immunsystem des Gehirns trägt über den Entzündungsbotenstoff IL-12 ursächlich dazu bei, dass sich Alzheimer verschlimmert. Den genauen Mechanismus beschreiben Forschende der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Center in der Fachzeitschrift „Nature Aging“.
Gemeinsame Pressemitteilung der Charité – Universitätsmedizin Berlin und des Max Delbrück Center
Die Immunzellen des Gehirns, die Mikroglia, sind eigentlich gute Wächter. Sie beseitigen Eindringlinge wie Mikroben, putzen Zellmüll weg – auch die typischen Plaques, die bei Alzheimer entstehen. Doch im alternden Gehirn sind die Mikroglia in vielfältigsten Zuständen zu finden. Während manche weiterhin gut funktionieren, verlieren andere nach und nach ihre Schutzwirkung und beginnen, dauerhaft in geringen Mengen Entzündungsbotenstoffe zu produzieren.
Ein solcher Botenstoff ist Interleukin-12 (IL-12). In akribischen Analysen konnten nun die Teams um Professor Frank Heppner, Direktor des Instituts für Neuropathologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin, und um Professor Nikolaus Rajewsky, Direktor des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB), gemeinsam mit weiteren Partnern nachweisen, über welchen Mechanismus IL-12 das Entstehen und Fortschreiten der Demenz befeuert. Die Studie erschien in „Nature Aging.“ Dieses Wissen könnte den Weg zu einer Kombinationstherapie ebnen und den Verfall des Gehirns möglicherweise verlangsamen.
„In der Alzheimer-Forschung wurde jahrzehntelang fast ausschließlich über die charakteristischen Ablagerungen von Amyloid-Beta und Tau diskutiert. Entzündungen galten als Nebeneffekt“, sagt Frank Heppner. „Dass Entzündungsprozesse kausal am Anfang der Kette stehen können, kommt erst allmählich in den Fokus.“ Sein Labor hatte bereits 2012 in „Nature Medicine“ berichtet, dass eine Blockade der Botenstoffe IL-12 und IL-23 bei Mäusen für Alzheimer typische Hirnveränderungen deutlich reduzieren kann. „Aber wir konnten den Mechanismus nicht aufdröseln – wir kamen mit Standardtechniken nicht weiter“, sagt Heppner. Einzelzellanalysen könnten entscheidende Hinweise geben, hoffte er und wandte sich an Nikolaus Rajewsky.
Verklebte und verhedderte Hirnzellen
Im Laufe ihres Lebens greift eine Zelle immer wieder auf Anweisungen zurück, die in ihrem Erbgut enthalten sind. Sie liest darin wie in einem Buch und erfährt so, wie sie auf äußere Einflüsse reagieren soll. Mit Einzelzellanalysen können Forschende sie dabei beobachten. Sie können für Tausende Zellen gleichzeitig rekonstruieren, welche Gene welche Zelle gerade abgelesen und in Proteine übersetzt hat. Das Ergebnis sind riesige Datenmengen, die mit Hilfe von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen ausgewertet werden. Der Haken: Für eine Einzelzellsequenzierung muss man die Zellen in einer Gewebeprobe zunächst sauber voneinander trennen, ohne sie zu beschädigen oder ungewollt zu manipulieren. „Bei den alternden Mäusegehirnen – erst recht mit Alzheimerplaques – sind die Zellen aber so verklebt und verheddert, dass das quasi unmöglich ist“, sagt Rajewsky.
Mehrere Jahre hat sein Team ein Protokoll perfektioniert, das diese Hürde umschifft: Statt ganzer Zellen lösten die Forschenden die Zellkerne aus dem Hirngewebe und analysierten, welche RNA dort gerade vorlag. Im Abgleich mit publizierten Daten wie dem Allen Brain Atlas konnten sie nachvollziehen, wann das Protokoll ein repräsentatives Abbild aller Zellpopulationen ermöglichte. Letztlich sequenzierten sie die RNA aus mehr als 80.000 Zellkernen und entwickelten für die Analyse der Datenberge spezifische Workflows. Sie rekonstruierten außerdem die Kommunikation der Zellen untereinander. „Die beiden Teams haben immer wieder zusammengesessen und diskutiert, was diese hochkomplexen Daten bedeuten“, sagt Rajewsky. „Diese mühevolle Optimierung am Anfang hat sich gelohnt – die Zusammenhänge wären sonst nicht messbar gewesen.“
Wie IL-12 das Alzheimer-Gehirn schädigt
Der Entzündungsbotenstoff IL-12, den Ärzt*innen bislang vor allem von Autoimmunerkrankungen wie Morbus Crohn oder rheumatoider Arthritis kannten, spielt demnach eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Alzheimer. Er schädigt zwei wichtige Zelltypen im Gehirn: zum einen die reifen Oligodendrozyten, die normalerweise die fettreiche Isolierschicht der Nervenfasern, das Myelin, produzieren. Die Isolierschicht ist entscheidend für eine schnelle Signalweiterleitung im Gehirn. Zum anderen dockt der Botenstoff bei bestimmten Nervenzellen, den Interneuronen, an und lässt sie absterben. Diese speziellen Nervenzellen sind für Kognition und Gedächtnis besonders wichtig. Ein Teufelskreis beginnt: Je mehr Mikroglia IL-12 produzieren, desto mehr Zellen sind geschädigt. Und die noch funktionalen Mikroglia sind damit abgelenkt, zusätzlichen Zellmüll wegräumen zu müssen, statt Alzheimer-Plaques abzubauen.
Den Mechanismus überprüften die Forschenden in mehreren Schritten bei Mäusen und an menschlichem Gewebe. Wenn das Team um Heppner den Botenstoff in Zellkulturen und im Mausmodell blockierte, konnten sie die krankheitsbedingten Veränderungen eindämmen. Elektronenmikroskopische Aufnahmen am Max-Planck-Institut für Multidisziplinäre Naturwissenschaften in Göttingen belegten zudem, wie sich Myelin-Struktur und Nervenfaserdichte änderte, wenn bei Mäusen der IL-12-Signalweg vorhanden war oder fehlte. Massenspektrometrische Analysen (Lipidomics) an der Universität Zürich bestätigten die veränderte Zusammensetzung der fettreichen Isolierschicht. Als das Team um Heppner Autopsiegewebe von Alzheimer-Patient*innen untersuchte, bestätigte sich der Zusammenhang abermals. Je weiter die Krankheit fortgeschritten war, desto mehr IL-12 fanden sie. Zellkulturen mit menschlichen Oligodendrozyten reagierten außerdem extrem empfindlich auf IL-12.
Ansatz für eine Kombinationstherapie
„Wir haben jetzt ein sehr detailliertes Bild über den Mechanismus und die Einzelzelltechnologien waren dafür ein essentieller Katalysator. Offen ist eigentlich nur noch die Frage, welcher Zelltyp zuerst betroffen ist – die Oligodendrozyten, die Interneurone oder beide“, sagt Heppner. Besonders vielversprechend: Es gibt bereits auf dem Markt zugelassene Wirkstoffe, die IL-12 blockieren. Jetzt hofft das Team, dass klinische Kolleg*innen die Daten aufgreifen und eine klinische Studie starten. „Wenn sich die Wirkstoffe bewähren, wäre das ein neuer Pfeil im Köcher. Alzheimer hat nicht nur eine Ursache, eine Achse der Erkrankung wird zumindest bei einem Teil der Patientinnen und Patienten über das Immunsystem mitgesteuert. Wenn wir den Verfall verlangsamen wollen, brauchen wir eine Kombinationstherapie“, sagt Heppner, der auch Wissenschaftler am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) ist. Diese könne früh ansetzen. Denn IL-12 kann man als Biomarker im Blut oder in der Hirnflüssigkeit (Liquor) nachweisen.
Die Teams von Charité und Max Delbrück Center arbeiten außerdem an einer neuen These: Dass die Mikroglia auf Abwege geraten und IL-12 produzieren, könnte durch Mikroplastik im Gehirn befeuert werden. „Damit kommen die Mikroglia-Zellen möglicherweise einfach nicht klar und die Entzündungsreaktionen fangen an“, sagt Rajewsky. „Es wäre ein Hinweis, wie Umwelteinflüsse zu Volkskrankheiten beitragen.“ Bis dato sei das noch nicht bewiesen – aber für beide Teams sei das eine spannende und wichtige aktuelle Fragestellung.
Weiterführende Informationen
Pressemitteilung zur Charité-Studie aus dem Jahr 2012
Schlecht isolierte Nervenzellen fördern Alzheimer im Alter
Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (Max Delbrück Center)Alle News im Überblick
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